Helene de Gavrischenko, später Hellichius (1921-2005)

Die Stieftochter


Helene Tatiana Gabriella de Gavrischenko wurde am 23. Juli 1921 in Brunnby (Schweden) als Tochter von Nadeschda Gavrischenko und Nils Hellichius geboren.[1] Von wann bis wann Nadeschschda mit dem Juristen Nils Hellichius verheiratet war, ist mir unbekannt. Sicher ist jedoch, dass Adolf Wüster sie als seine Stieftochter annahm und sie nach 1924 im Haushalt von Nadine und Adolf aufwuchs. Dennoch scheinen die Bande nach Stockholm und ihrem Vater weiter fortbestanden zu haben.

 


[1] Später, wahrscheinlich nach der Eheschließung ihrer Eltern, trug sie dann den Nachnamen Hellichius; Wann und wo sich ihre Eltern kennengelernt hatten ist mir ebenso unbekannt, wie die Dauer ihrer eventuellen Ehe.  Quelle: Swedish Church Records Archive. Johanneshov, SwedenGID-Nummer: 100012.160.500; Rollen-/Fiche-Nummer: CL2040 (gefunden bei ancestry)

 

Helene und Adolf in der Normandie, um 1927 (Privatarchiv)
Helene und Adolf in der Normandie, um 1927 (Privatarchiv)

 

Am 2. August 1941, wenige Tage nach ihrem 20. Geburtstag, heiratet sie in Stockholm den Ingenieur Olof [Oluv?] Dag Vilhelm Dufwa.[1] Aus dieser Ehe geht ein Sohn hervor, der in Stockholm das Licht der Welt erblickt[2] Es ist also davon auszugehen, dass zu Beginn der 1940er Jahre Helene ihren Lebensmittelpunkt in Schweden hatte. Dennoch steht sie weiter in engem Kontakt zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in Paris.

 

Dass Wüsters Handelstätigkeit ohne Nadine praktisch unvorstellbar ist, habe ich bereits erwähnt. Als ich das schrieb, war mir allerdings noch nicht bekannt, dass auch Helene an diversen Transaktionen von Kunstwerken beteiligt war. Und nicht nur mir. Unmittelbar nach ihrem 21. Geburtstag  und der damit einhergehenden vollen Geschäftsfähigkeit wurde auch sie in die Handelstätigkeit ihres Stiefvaters einbezogen.

 

 



[1] Olof Dufwa wurde am 21. Dezember 1916 geboren. Genline AB; Johanneshov, Sweden; Swedish Church Records Archive; GID-Nummer: 100002.301.7200; Rollennummer: CL3559 (gefunden bei ancestry); Es ist möglich, dass Olof Dufwa in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zur Familie von Nils Hellichius stand. Zumindest legt ein Grabstein in Lidingö bei Stockholm diese Vermutung nahe

[2] Genline AB; Johanneshov, Sweden; Rollen-/Fiche-Nummer: CL3576 (ancestry)

 

 

Ein Blick in die Bestände der Musées nationaux récupération (MNR)

 

Wenn wir in der Datenbank zu diesen Beständen nach dem Namen Dufwa suchen, erhalten wir drei Treffer. Es handelt sich dabei um folgende Gemälde:

 

  • MNR 499: Jongkind, Johann-Barthold: Port, 1855. 1942 von André Schoeller an das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld verkauft[1]
  • MNR 640: Diaz de la Pena, Narcisse : Paysage avec arbres ; 1871. 1942 von André Schoeller (oder Avogli-Trotti ?) an das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Wuppertal-Elberfeld verkauft
  • MNR 190: Courbet, Gustave : Portrait de Rembrandt, 1869. 1942 von André Schoeller an ein Museum in Aachen verkauft.

 

Allen drei Gemälden ist gemein, dass hier zwar André Schoeller als Gutachter und Verkäufer genannt wird, sie alle aber aus dem Besitz einer „ Madame Dufwa“ in Stockholm stammten. Ganz offensichtlich benutzte Adolf Wüster also seine Stieftochter, nun eine vollkommen unverdächtige Schwedin, um nach der Aufnahme seiner Tätigkeit als Konsul an der Deutschen Botschaft die Spuren seiner fortgesetzten Handelstätigkeit zu verwischen.

 

Glücklicherweise konnte ich noch vor der Corona-Krise in die Unterlagen des Comité de confiscation des profits illicites in den Archives de Paris Einblick nehmen. Dort hatte ich mir die Akten zu allen Personen geben lassen, von denen ich wusste, dass sie in engem Kontakt zu Adolf Wüster standen. André Schoeller gehörte dabei natürlich zu den Top Five.[2]

 

Schoeller sagt in diesem Verfahren aus, dass er die Werke der Madame Dufwa lediglich begutachtet habe. Verkauft wurden die Gemälde und Kunstobjekte dann nach seiner Aussage direkt von Frau Dufwa.

 

Da mir die Archives de Paris untersagt haben, Fotos der Dokumente zu publizieren, gebe ich hier die Liste der von Schoeller begutachteten Kunstwerke, er erhielt übrigens 10% vom Verkaufspreis für seine Expertisen, und deren Endabnehmer hier im Wortlaut wieder.

 

Tableaux et Objets
appartenant à Madame Dufwa, 10 Smedbachsgatan, Stockholm

[Käufer]

[Kunstobjekt]

[Verkaufspreis in Francs]

Juin 1942

 

 

Dr. Kutgens, Musée d’Aix-la-Chapelle

Tableau Courbet[3]

180.000

Dr. Dietrich, Munich

Tableau ecole flamande

200.000

Dr. Muthmann, Musée de Krefeld

Jongkind [= MNR 509]
Tapisserie des Flandres
Degas
Ecole espagnole + flamande

150.000
200.000
30.000
150.000 + 200.000

Septembre 1942

 

 

Dr. Dirksen, Musée de Wuppertal-Elberfeld

Tab. De Diaz[4]

300.000

Dr. Koehn, Folkwang, Essen

Tableau Troyon[5]

130.000

Dr. Muthmann, Krefeld

Marbre Carpeaux[6]
Tableau Jongkind

175.000
700.000

Juillet 1942

 

 

Dr. Gurlitt, Hambourg

Rodin-Pissaro, dessins

8.000

 

 

Anzumerken ist, dass im Rahmen der Untersuchungen des Comité de confiscation des profits illicites gegen Schoeller zwar einmal kurz vorgeschlagen wurde, Frau Dufwa zu kontaktieren, aber in diesem Dossier nichts zu finden ist, was darauf hindeutet, dass das auch tatsächlich geschah. Zumindest hat es in diesem Dossier keinen Niederschlag gefunden. Möglicherweise hielt sie sich auch schon im Zeitraum des Verfahrens 1945-1947 nicht mehr in Stockholm auf oder trug wieder ihren Mädchennamen.

Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass weder bei den Untersuchungen unmittelbar nach Kriegsende, noch bei den aktuell laufenden in Bezug auf die MNR aufgefallen zu sein scheint, dass es sich bei Madame Dufwa um die Stieftochter Adolf Wüsters handelt. 

 



[1] Insgesamt erhielt Das Kaiser-Wilhelm-Museum zwei Werke von Jongkind. Eines trug den Titel „Paysage du soir“. Ob es das hier genannte oder ein anderes ist, wäre noch zu klären.

[2] AdP : Dossiers de comité de confiscation des profits illicites Sig.: 112W 5 [André Schoeller u.a.] ; zum Verfahren gegen Schöller s.a. Tessa Rosebrock: Des Handels mit dem Feind beschuldigt. Akteure des Pariser Kunstmarkts vor der Commission nationale interprofessionnelle d’épuration und dem Cour de la Justice du département de la Seine. Vortrag auf der Tagung „Raub&Handel. Der französische Kunstmarkt unter deutscher Besatzung (1940–1944)“, 30.11.–1.12.2017, Bundeskunsthalle Bonn, S. 6f > https://www.kulturgutverluste.de/Content/01_Stiftung/DE/Veranstaltungsnachlese/2017/Vortrag-Tessa-Rosebrock.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[3] Das ist MNR 190

[4] MNR 640

[5] In einem anderem Zusammenhang wird in diesem Dossier erwähnt, dass der Titel des Werkes „Les voleurs de nids“ oder „Dénicheurs d’oiseaux“ ist.

[6] Faune à la vige

 

 

Madame Dufwa = Veuve Schoeller = Madame Hellichius

 

Wie es mit Madame Dufwa weiterging, verbirgt sich im Dunklen. Dreimal ist sie bzw. Helene Hellichius mir im Rahmen meiner Recherchen bisher noch begegnet. Einmal, ziemlich zu Beginn meiner Beschäftigung mit Adolf Wüster, in den Erinnerungen Werner Langes an seine Zeit als Leutnant bei der Propagandastaffel in Paris. Besonders bemerkenswert schien ihm in Bezug auf André Schoeller sen. dessen zahlreichen Beziehungen  zu Frauen zu sein. Konkreter wird er, als er auf die letzte Eroberung Schoellers zu sprechen kommt:


"Sa dernière conquête était une Russe, très jeune, Nadine, la fille de l'épouse d'Adolf Wüster. Schoeller était déjà âgé en l'epousant, bien plus âgé en tout cas que son beau-père. Comme il est décédé peu de temps après s'être marié, les mauvaises langues disaient qu'il en était mort. Son épouse étant bien plus jeune que lui, le pauvre vieux s'était tué à la besogne..."

 

Offensichtlich waren die Notizen Langes, auf denen sein Buch basiert, etwas fehlerhaft. Die junge Braut Schoellers hieß nicht wie ihre Mutter und war auch keine Russin, sondern Schwedin. Und ob es eine Heirat aus Liebe war und er sich dabei körperlich verausgabt hat, darf auch bezweifelt werden.[1]  An dieser Stelle sei bemerkt, dass Wüster und Schoeller sich schon aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kannten und zum Zeitpunkt der Eheschliessung seit Jahrzehnten miteinander befreundet waren. Ich vermute daher eher eine arrangierte Ehe als eine aus persönlicher Zuneigung.

 

Das zweite Mal begegnete sie mir bei meinen Recherchen zum Grab Adolf Wüsters und dem Wohnsitz Nadines in Barbizon. Dankenswerter übermittelte mir der dort für die archivalischen Belange zuständige Mitarbeiter der Mairie, einen Auszug aus dem Grundbuch. Aus diesem ging hervor, dass Nadine zusammen mit ihrer Tochter 1981 ein kleines Haus erworben hatte. Doch die Tochter, zweifelsfrei durch Geburtsname, -ort und -datum ausgewiesen, hieß dort nicht mehr Dufwa oder Hellichius, sondern war nun „Mme Veuve Schoeller, André“. Somit ist eindeutig, dass Helene unzweifelhaft mit dem Kunsthändler und -experten André Schoeller verheiratet war. Mit dem Senior wohlgemerkt. [2] Wann genau die Hochzeit stattfand, weiß ich noch nicht, aber da er 1879 geboren wurde, war er bei seiner Eheschließung mit Helene tatsächlich bereits hochbetagt. Zur Orientierung: 1951 war er 72 und Helene 30 Jahre alt. Ein sehr ungleiches Paar, bei dem man über die Motivation zur Eheschließung trefflich spekulieren kann. Ich halte es aber für naheliegend, dass diese Ehe auch in Bezug auf Adolf Wüsters Kunsthandelstätigkeit einige Vorteile bot. Ob er und Nadine an dieser Hochzeit teilnahmen, weiß ich nicht. Es ist aber aus Familienkreisen bezeugt, dass Adolf Wüster irgendwann zu Beginn der 1950er Jahre nach langer Absenz plötzlich bei der Hochzeit eines Enkels in der Nähe von Paris, einem Kind seines Sohnes Henri, auftauchte und ein vielteiliges Service als Geschenk mitbrachte, das noch heute in der Familie vorhanden ist. Wahrscheinlich war das nicht das einzige Mal, dass die Wüsters nach dem Krieg nach Frankreich reisten.

 

Helene verbrachte den Rest ihres Lebens ganz oder zumindest teilweise in Le Cannet, einem Vorort von Cannes. Dort verstarb sie unter ihrem Mädchennamen am 16.08.2005.[3] Ob sie eine Kunstsammlung hinterlassen hat, ist nicht bekannt.



[1] Lange, Werner: Les artistes en France sous l'occupation. Van Dongen, Picasso, Utrillo, Maillol, Vlaminck.... Un officier allemand raconte. Monaco 2015, S.62.

[2] Andre Schoeller sen. 23. sept. 1879 – 1955. Andre Schoeller junior lebte von 1929 bis zum 1. Dezember 2015. > https://www.dansnoscoeurs.fr/andre-schoeller/1602512/avis [06.02.2021]; Schoeller jun.  war übrigens der Halbbruder des Kunsthändlers André Pacitti, der 2007 verstarb. Noch eine heiße Spur?!

[3] https://geneafrance.com/france/deces/?deces=27047892 [06.02.2021]

[Dieser Text wurde am 07.02.2021 hier veröffentlicht.]