1946: Auf großem Fuß

Bundesarchiv N 1826/184
Bundesarchiv N 1826/184

Den Geschäften eines Kunsthändlers vom Stil Adolf Wüsters auf die Spuren zu kommen, ist nie einfach. Zumal, wenn es keinen Nachlass gibt - oder man diesen noch nicht gefunden hat. Diskretion gehört zu den wesentlichen Grundlagen des Geschäftserfolgs eines Kunsthändlers. Doch damit ist nicht auch zwangsläufig ein zurückhaltenes, bescheidenes Auftreten in der Öffentlichkeit verbunden.

 

Einen der ersten Hinweise darauf, wie Adolf Wüster in der Nachkriegszeit wahrgenommen wurde, fand ich im Nachlass Gurlitt.[1] Ein kleiner Ausschnitt aus einer nicht genannten Zeitung, ohne Datum, wohl Teil einer Glosse. Hildebrand Gurlitt  hielt diese Zeilen offensichtlich für interessant genug, um sie dauerhaft in einem Aktenordner mit seiner Geschäftskorrenspondenz aufzubewahren. Gerade können wir dem Fragment noch entnehmen, dass es um Personen geht, die trotz einer Schuld aus den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft ihrer Strafe entgangen sind. Die Denunzianten der Scholls, der Präsident der deutschen Nietzsche-Gesellschaft Dr. Friedrich Würzbach und eben auch – hier ebenfalls mit Doktortitel - Adolf Wüster, der zwar die französischen Museen ausgeraubt habe, nun weiter große Geschäfte abschließt, mit amerikanischen Besatzungsbehörden kooperiert und mit einem Privatwagen durch München fährt. Und das in München, wo 90% der Innenstadt in Trümmern liegt.

 

Was hier so klingt, als ob es auf eigener Beobachtung beruhen würde, stammt allerdings aus dem Reisebericht des später hochdekorierten Mitglieds der Résistance Jean Hubert, der unter dem Titel „Journal d’un retour. Bavière 1946“ im Dezember desselben Jahres in der Zeitschrift Esprit veröffentlicht worden war. Hubert schildert darin anschaulich seine Erlebnisse und Beobachtungen während einer einwöchigen Reise durch Bayern, wobei sein Hauptaugenmerk auf der Frage liegt, wie die Bevölkerung die NS-Zeit verarbeitet – oder eben auch nicht.

 

Zu Adolf Wüster schreibt er:

 

„Tiens, tu te rappelles de ce Dr. Wüster dont les journaux ont parlé à Paris à propos de Rosenberg qui a pillé les musées français et les collections privies pour Göring et Hitler? Wüster était le rabatteur de Rosenberg. Arrêté? Point du tout. Il fait la bombe dans sa propriété auch Chiemgau, roule en voiture, traite les plus grandes affaires et, ce qui est le comble, s’est infiltré comme conseiller au Collectingpoint où on rassemble les oeuvres d’art pillées par les nazis…”[2]

 

Deutlich ist seine Entrüstung darüber zu spüren, dass einer, der den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) auf jüdische Kunstsammlungen aufmerksam gemacht hat (oder haben soll), nun auf großem Fuße im Chiemgau lebt, mit einem PKW durch die Gegend fährt und weiter dicke Geschäfte macht. Der Gipfel ist für Hubert allerdings der Umstand, dass Wüster sich nun als Berater im Central Collecting Point (CCP) eingeschlichen habe, wo das Raubgut der Nazis zusammengetragen worden sei.

 

 Und in der Tat: Auch mich beschäftigt sehr, dass es so aussieht, als ob Adolf Wüster nach seiner Flucht aus Frankreich in Deutschland wohl nahtlos weiter seiner Geschäftstätigkeit nachgehen konnte. So als ob nichts gewesen wäre. Weitgehend unbehelligt von den amerikanischen Besatzungsbehörden. Wie wir noch sehen werden, war es nicht ganz so. Aber die Tatsache, dass er sich 1946 ein Auto leisten kann, wo die Bevölkerung um ihn herum hungert, spricht doch sehr dafür. Um der Frage zuvorzukommen: Nein, er hatte das Auto nicht aus Frankreich mitgebracht. Und auch seine Unterkunft war nicht das, wonach es aussah. Das wirklich beeindruckende Bonnschlössl gehörte a) seiner ersten Ehefrau, war b) zu dieser Zeit schon lange ein Kinder(ferien)heim, wenn es c) 1946 nicht noch von alliierten Soldaten( zumindest teilweise) belegt war. Interessant ist aber tatsächlich die Frage, welchen Deal er mit den alliierten Kunstschützern gemacht hatte, sodass er allem Anschein nach einer Anklage entkommen konnte und auch nicht nach Frankreich ausgeliefert wurde.

 



[1] BArch N 1826/184, f. 379, Geschäftskorrespondenz 1945-1948 im Nachlass Gurlitt

[2] Hubert, Jean: Journal d’un retour. Bavière 1946. In: Esprit, 15. Jg., Nr. 128, Dezember 1946. Zur Person >   Erlande-Brandenburg Alain: Jean Hubert (1902-1994). In: Bibliothèque de l'école des chartes. 1995, tome 153, livraison 2. pp. 583-588.

 


1950: Der Connex zu den französischen Freunden

Im Januar 1950 schreibt Adolf Wüster an Hildebrand Gurlitt, dass es "unseren Freunden [...] allen wieder recht gut [geht], was einen freut zu hören - es besteht auch keinerlei Animositaet mehr, also werden wir bald wieder naeheren Connex haben."[1] Wüster pflegt also weiter seine Kontakte in Frankreich und es darf vermutet werden, dass er beabsichtigte, diese auch alsbald möglich wieder geschäftlich für sich nutzbar zu machen. Eine seiner Hauptinformationsquellen dürfte dabei sein alter Freund André Schoeller gewesen sein. Zu diesem muss der Kontakt weiter recht intensiv gewesen sein, denn irgendwann um 1950 herum, heiratet seine Stieftochter Helene den etwa 40 Jahre älteren André Schoeller.

 

 

[1] Wüster an Hildebrand Gurlitt, 18.1.1950, BArch K N1826/43, f.495, zit. n. Gramlich, Johannes: Hildebrand Gurlitt auf dem französischen Kunstmarkt: Handel und Bürokratie. In: Baresel-Brand, Andrea u.a.: Kunstfund Gurlitt. Wege der Forschung. Berlin/Boston 2020, S. 52f


1968/69: Wüster vermittelt noch immer

In der Auktion 859 wird mit der Los-Nummer 722 bei Lempertz folgendes Gemälde aufgerufen:

 

"Achille-Émile-Othon Friesz (1878-1949)
Dorfpartie mit Kirche
Öl auf Karton, mit Leinwand doubliert 46 x 38 cm Unten rechts mit verblaßter, kaum noch lesbarer Signatur


Provenance
Süddeutscher Privatbesitz, 1968/69 erworben durch Vermittlung des Künstlers Adolf Wuester (Wuppertal 1888 - 1972 München)"[1]

 

Zur Beachtung: Am 30.12. 1968 feierte Adolf Wüster seinen 80. Geburtstag

Frage: Welcher Privatbesitzer erwarb das Gemälde von wem?

 

 

[1] Auktionskatalog Lempertz, Nr. 859, Köln o.D.,  Lot 722, Ergebnis: 2.499 €