Adolf Wüsters Restitutionsbegehren

https://www.fold3.com/image/269947643
https://www.fold3.com/image/269947643

I Lebenslauf

 

Auf seinen Lebenslauf als Künstler bin ich ja bereits eingegangen. Hier haben wir es nun mit der Version „Kunstexperte/-sammler“ zu tun. Im Sommer 1946 bemüht sich Adolf Wüster darum, die Teile seines Kunstbesitzes zurückzuerlangen, die er 1943 von Paris aus nach Deutschland geschickt hatte, um sie dort vor eventuellen Bombenangriffen in Sicherheit zu bringen. Dem Restitutionsantrag ist ein Lebenslauf beizufügen, der auch Auskunft über die Umstände geben soll, unter denen die entsprechenden Kunstwerke abhanden kamen. Im Falle Adolf Wüsters ist die Sache klar. Man muss nicht lange nach den meisten seiner Werke suchen, da er ihre Bergungsorte kennt.

 

Zunächst schildert er kurz und knapp seine künstlerische Karriere, wobei er es für notwendig hält, Modigliani, Kisling und Diego M. Rivera zu erwähnen. Nachdem er Paris wegen des Ersten Weltkriegs habe verlassen müssen, sei er 1924 wieder zurückgekehrt und hätte 1930 dort die schwedische (!) Staatsangehörige Nadine Hellichius geheiratet. Das nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig ist, da diese nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann wieder ihren offensichtlich russischen Mädchennamen, Nadjeschda Gavrichenko, angenommen hatte. Allem Anschein nach hält er es hier für besser, ihren eigentlichen Namen und ihre russische Herkunft zu verschweigen.

 

Wir erfahren weiter, dass er in den 1930er Jahren seinen Lebensunterhalt als Maler und Sachverständiger sowie gelegentlichen Vermittlungen und Verkäufen auf dem Kunstmarkt verdient. Berücksichtigt man seine kaum vorhandenen Ausstellungsaktivitäten in den 1930er Jahren, so spielte dabei der Verkauf seiner eigenen Bilder vermutlich die geringste Rolle. Kurzzeitig müssen die Wüsters bei Kriegsausbruch 1939 ihre Wohnung in der rue Belloni verlassen, können aber bald nach dem Waffenstillstandsabkommen 1940 wieder nach Frankreich zurückkehren. Zu verdanken haben Sie das einem Auftrag des Auswärtigen Amtes (AA), für das Adolf Wüster ein Gutachten zu einem Gemälde Gustave Courbets „Die Badende“ anfertigen und darüber hinaus auch „gelegentlich“ weiteren „Sachverständigenrat“ einbringen soll. Vermutlich ist ihm hier ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen. Denn am 25. Oktober 1940 erwirbt Joachim von Ribbentrop bei dem Kunsthändler Raphael Gérard ein großformatiges Gemälde Courbets, das zwei mehr oder minder unbekleidete Damen zeigt.[1] Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meint Adolf Wüsters dieses Werk. Sollte das zutreffend sein, so wäre dieser Erwerb zugleich der erste Beleg für einen möglichen Kontakt zwischen Wüster und Gérard. Einem Händler, der ihnen auf diesen Seiten hier noch häufiger begegnen wird.

 

Was seine Aktivitäten in den Jahren 1940-44 angeht, so spielt er seine Bedeutung für den Kunstmarkt und die Botschaft in bemerkenswerter  Weise herunter:

 

„Während der Occupationszeit habe ich meine Tätigkeit als Sachverständiger, Maler und gelegentlicher Vermittler wieder aufgenommen, ohne mich dabei um politische Angelegenheiten zu kümmern, war auch nie Mitglied irgendeiner Partei, und habe mich stets wie ein freischaffender Künstler ohne politischen Ehrgeiz verhalten.“

 

Die Aussage, er sei nie Mitglied einer Partei gewesen, scheint zutreffend zu sein. Zumindest ist ihm eine Mitgliedschaft in der NSDAP ebenso wenig nachzuweisen wie eine wie auch immer geartete politische Tätigkeit. Und dennoch verschweigt er sein Beschäftigungsverhältnis an der Deutschen Botschaft und seine ja über die gesamte Zeit anhaltenden Dienste für die Familie Ribbentrop. Wie ein freischaffender Künstler hat er sich jedenfalls in jenen Jahren keineswegs verhalten. Ist das dreist berechnend oder nur naiv? Zumindest ist es irritierend, da er ja bereits mehrfach zu seiner Tätigkeit während der Okkupationszeit befragt worden ist und er also davon ausgehen muss, dass seine Rolle als höchst aktiver Kunsthändler und Botschaftsmitarbeiter allen alliierten Dienststellen inzwischen hinlänglich bekannt ist.

 

II Verlust und Besitz


Im zweiten Teil seines Restitutionsantrags schreibt Wüster, dass er und seine Frau ihren Hausrat im Sommer 1944 in der Rue de Grenelle zurücklassen mussten. Über den Wert dieses Hausrats erfahren wir nichts. Sicher gehörten dazu auch nicht ganz wertlose Möbel und Teppiche sowie einige kunstgewerbliche Gegenstände und weniger wertvolle Kunstwerke. Ob diese Objekte jedoch nach dem Weggang der Wüsters alle in der Rue de Grenelle verblieben, ist zu bezweifeln. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem offizielle Stellen das Eigentum der Wüsters beschlagnahmten, hatten der Graf Avogli-Trotti und andere ihm nahe stehende Personen sicher noch genügend Zeit, um das eine oder andere Stück dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Wie auch immer, sein Restitutionsantrag bezieht sich nicht auf seinen Pariser Besitz.
Vielmehr geht es um die Kunstwerke, die er 1943 „auf Anraten deutscher Museumsdirektoren (…) zur Vermeidung von Bombenschäden (…) dem deutschen Museums-Kunstschutz zur Aufbewahrung übergeben“ hat. Sie vor Bombenschäden zu schützen, war ein guter Grund. Ein weiterer war, dass nach der Niederlage von Stalingrad (Februar 1943), nun auch zunehmend Personen zum Kriegsdienst einberufen wurden, die bis dahin davon befreit waren.[3] Insofern lag es nahe, für den Fall der Fälle Vorsorge zu treffen und die wertvollsten Teile des Besitzes an möglichst sichere Orte zu verbringen. Aus den Versandpapieren der Firma Schenker geht hervor, dass Wüster am 8. Oktober 1943 seine wertvollsten Gemälde in fünf Kisten an das Rheinische Landesmuseum in Bonn schickt.[4] Diese sollen, ebenso wie ein weiteres Gemälde, das Leegenhoek nach Bonn versendet, dort zu seiner weiteren Verfügung gehalten werden.
An Ende des Krieges befinden sich die Kunstwerke Wüsters dann an folgenden Auslagerungsorten:

 

 [Zu diesen Orten und den sich dort befindlichen Gemälden Wüsters siehe die entsprechenden Unterseiten.]

 

 

[1] Nähere Angaben zu diesem Gemälde finden Sie in der Datenbank des Französischen Kulturministeriums zu den Musées Nationaux Récupération (MNR), wo es unter der Nummer MNR 876 gelistet ist.

[2] Zur Orientierung die Zeitpunkte, an denen die Wohnungen folgender Herren unter Sequester gestellt wurden:

Rochlitz 28.02.1945 > Journal officiel de la République française. Lois et décrets. 1945-04-01, S. 1840
Breker 04.05.1945 > Journal officiel de la République française. Lois et décrets. 13.06.1945, S. 3471
Avogli-Trotti 23.08.1945 > Journal officiel de la République française. Lois et décrets. 1945-10-15. > Source gallica.bnf.fr / BnF

[3] So waren etwa  die ihm nahestehenden F. Muthmann ab März und H. Apffelstaedt ab April 1943 zum Kriegsdienst eingezogen.

[4] https://www.fold3.com/image/287429843